Wir müssen uns Regeln geben – sagt Widuckel (Fobi LLL IN – 1)

Prof. Dr. Werner WiduckelIn sieben Thesen und mit Hilfe von Definitionen beleuchtete eloquent und mitreißend Keynotespeaker Prof. Dr. Werner Widuckel¹ den “Wandel der Arbeit, Personalentwicklung und Innovation” anlässlich der Fortbildung “Lebenslanges Lernen im Beruf: Individuell, virtuell, informell?”².
Für eine Reduktion des Mitschriebs reicht meine Zeit leider nicht, denn 8 weitere Vortragsblogs sind in Arbeit. Wobei … Widuckel lieferte m. E. ohnehin bereits eine Zusammenfassung eines sehr komplexen Themenbereichs, und das mag ich gar nicht kürzen. Für Sie, die Sie nicht an der Fortbildung in Ingolstadt teilnehmen konnten, eine günstige Gelegenheit, einen Zipfel zu erhaschen zu differenzierten Überlegungen zu Arbeit und Lernen im Wandel bzw. in der und für die Zukunft von Bibliotheken. Los geht’s!

These 1 …

… widmet sich den Veränderungen der Erfordernisse von Lebenslangem Lernen durch folgende Faktoren:

  • Verkürzung der Halbwertzeit von Wissen
  • Sozio-ökonomische Umbrüche, Demografie
  • Ökologisch Umbrüche, z. B. Klimawandel
  • Politische Umbrüche, neuer Nationalismus oder scheiternde Staaten
  • Technologische Umbrüche, z. B. Digitalisierung

Es gilt, Wissen und Können zu hinterfragen, auch im Hinblick auf nicht mehr anwendbares Wissen. Widuckel weist auf die Definition der EU-Kommission zu Lebenslangem Lernen³ hin. So beinhaltet Lebenslanges Lernen “alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, von Qualifikationen und Kompetenzen dient, und zwar im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive”.

These 2 …

Folie Prof. Dr. Werner Widuckel… greift den Wandel der Arbeit auf. Stichworte sind die Digitalisierung, Flexibilisierung und Globalisierung. Innerhalb dieser Parameter findet Organisation statt,  ist der Ort eine Größe – oder auch nicht, da mobiles Arbeiten möglich ist – und die Zeit. Was heute bedeutet: jederzeit. Daher, und weil das alles doch recht anstrengend werden kann, müssen wir uns Regeln geben, um uns ein Stück weit zu lösen (z. B. vom ständigen E-Mail-Abrufen).

Widuckel erläutert das Verhältnis von Flexibilität und Organisation. Sie äußert sich beispielsweise so, dass der Sachbearbeiter “Sowieso” keine feste Stellung mehr inne hat und permanent wechselnde Aufgaben und Projekte, die zu den Regelaufgaben und Sonderaufgaben hinzukommen.

Der Nutzen des Leistungsvermögen von Mitarbeitern wäre heute anders als früher, wobei dieses auch mehr Entscheidungsfreudigkeit bedeuten könne. Doch die Organisation wird störanfälliger, z. B., weil sich Aufgaben überlagern, jeweils mit Anrufen, Mails und ihren spezifischen Problemen oftmals zeitgleich daher kommen.

Digitale Arbeit (Definition)

Übergreifende Steuerung sowie Koordination von Arbeitshandeln durch digital vernetzte Strukturierung und Interaktion im Rahmen von organisierten Wertschöpfungs- und Dienstleistungsprozessen (zielgerichtet kommt ein Dienstleistungsprodukt heraus). Digitale Arbeit ist in die o. g. Umbruchprozesse eingebettet.

Zum Beispiel erfolgt heute bei einer Bestellung die Dateneingabe durch den Kunden, womit ein Bestellvorgang ausgelöst wird, ohne, dass ein Mensch damit persönlich beschäftigt wäre.

Oder ein Beispiel aus der Landwirtschaft. Eine App liefert dem Bauer Informationen über Wetterdaten, die Art des Weizens und die Bodenbeschaffenheit. Die Ernte geht zur günstigsten Zeit los. Diese wird dem Bauern mitgeteilt. Nun muss nur noch ein Mähdrescher geordert werden. Und in der Zukunft sitzt der Bauer gar nicht mehr selbst auf dem Drescher.

Sogar die Milchkühe haben sich schon auf die automatisierte, sprich: digitalisierte Fütterung ausgerichtet. Die Kuh lernt: Will ich mein Euter entleert haben, stelle ich mich unter die Melkanlage. Und die Allianz-Versicherung experimentiert mit vollautomatischer Bearbeitung bei Schadensmeldungen. Ein Versicherungssachbearbeiter ist nicht mehr nötig.

Die Frage ist: Wo entsteht Arbeit? Wo fällt Arbeit weg? Sicherlich wird das Entwickeln von Soft- und Hardware zunehmen, so Widuckels Vorschau.

These 3 …

… enthält folgende Ausführungen: Der Wandel der Arbeit erhöht die Bedeutung von Kompetenzen und Qualifikationen noch weiter. Soziale Trennungslinien werden z. T. verstärkt, z. T. durchlässiger. Die Arbeitsteilung wird spezialisierter. Bestimmte Aufgaben mit mittlerem Qualifikationsniveau werden automatisierbar. Der soziale Status der Arbeitnehmer differenziert sich weiter aus. Polarisierung findet statt. Benötigt werden Mitarbeiter, die die Komplexität durchdringen. Die Kompetenzentwicklung verläuft nicht einheitlich.

Für das Bibliothekswesen bedeutet das zum Beispiel: Literatur wandert in die Cloud, so werden wir zu Archivaren älterer Literatur. Wir sind diejenigen, die die alten Bücher finden und kennen. Hinzu kommen Regulierungsfragen (Urheberrecht) und die Antworten hängen stark von den beruflichen Qualifikationen ab.

Eine der Eigenschaften der Digitalisierung ist, dass sich zu neuen Modellen Monopole erheben, siehe Amazon. Diese Anbieter beginnen, unser Leben zu verwalten: „Menschen, die dieses Buch lesen, lesen auch …” oder “Menschen, die diesen Salat essen, essen auch …”

Wir brauchen mehr Akteure mit unterschiedlichem Wissen, die das Ganze zusammenbringen können. Denn es gibt unterschiedliche Sichten auf das Problem und auf die Welt. Für die einen ist die Welt eine Systematik, für den anderen Mechanik, dem anderen eine Mischung von Signal und Impuls. Jeweils unterschiedliche Lösungen sind vorgezeichnet.

These 4

Unternehmen bzw. Organisationen befinden sich vor diesem Hintergrund unter einem starken Druck zu Veränderungen, der mit den Erfordernissen von Innovationen verbunden ist. Diese betreffen:

  • Produkte bzw. Dienstleistungen
  • Organisation
  • Technologie
  • Und vor allem MENSCHEN

Zu “Produkten bzw. Dienstleistungen” am Beispiel Medizin: Die ländliche Versorgung mit Dienstleistungen findet in der Zukunft vielleicht nur noch über Digitalisierung, beispielsweise via Skype, statt. Patient und eine medizinische Kraft sprechen mit einem Arzt nach der Ferndiagonse ab, was zu tun ist.

Zu “Organisation”:

  • Wie delegiere ich die Kompetenz zur Entscheidung?
  • Chefs wissen immer weniger, was ihre Mitarbeiter machen, denn es kann einer gar nicht mehr alles über alle wissen
  • Wie viel Entscheidungskompetenz gebe ich einer Gruppe, und wie viel nicht?
  • Mehr Handlungsfreiheit, aber auch mehr Verantwortung, verbunden mit einer Mehrbelastung können mehr Stress bedeuten

These 5

Diese Veränderungen müssen als Lernprozesse gestaltet werden. Hierbei ist zwischen …

  • … Formellem Lernen (das kennen wir zur Genüge) und …
  • … Non-formellem Lernen (also zielgerichtete Lernprozesse, diese aber nicht mehr in einer strukturellen Vorgabe, beispielsweise in selbstorganisierten Lerngruppen) sowie …
  • … Informellem Lernen zu unterscheiden. Also Lernen, das wir gar nicht merken, sozusagen unbewusste Lernprozesse.

Non-formelles und informelles Lernen wird immer wichtiger. Ohne Hierarchien sich über Themen miteinander austauschen und lernen.

Kompetenzen (Definition)

Inhaltlicher Bezugspunkt des Lernen sind Kompetenzen. Sie setzen sich zusammen aus:

  • Wissen
  • Können
  • Wollen
  • Werten (Menschen haben Werte, Rechtfertigung für etwas, was wir tun, z. B. Warum sitzen wir hier?)

Kompetenzen befähigen zum selbstorganisierten Handeln in offenen und komplexen Stuationen. Das Unerwartete ist zu bewältigen. Nicht Abprüfbares, sondern was verstehbar ist, und zwar auf der Grundlage des Wissens und des Könnens.

[Anmerkung: Diese Kompetenzen lassen sich sehr wohl auch bescheinigen, zum Beispiel über zertifizierte ProfilPASS-Berater*innen. Sagt mir, wenn Bedarf besteht, dann lasse ich mich wieder re-zertifizieren. Ich hatte das Thema bereits wieder ad acta gelegt, doch nun scheint es ja doch noch in der Bibliothekswelt angekommen zu sein.]

Widuckel stellt die (sattsam bekannten) Kompetenzklassen vor, die da wären: Personale Kompetenz, Methoden- und Fachkompetenz, Sozial- und Kommunikationskompetenz, Handlungs- und Umsetzungskompetenz.

So lassen sich bei jedem Menschen Merkmale in jedes Raster hinein finden. Doch ohne Entwicklungsangebote ist es schlecht [jetzt versagen meine Notizen, ich ergänze mal frei Schnauze …] um die Aktivierung und Intensivierung (?) bestellt.

Kompetenzen werden unterlegt durch Qualifikation (das, was sie in Ausbildungsgängen erwerben und was abrüfbar ist) und Persönlichkeitseigenschaften, z. B. Selbstvertrauen oder Krisensituationen meistern.

These 6

Prof. Dr. Werner WiduckelKompetenzentwicklung wird zu einem zentralen Bestandteil der Personalentwicklung und ist eingebettet in …

  • Lebenslanges Lernen – Organisationen leben von geteilten Werten und vom Kommunizieren über Innovationsziele und Richtungen.
  • Personalführung – Die Verbindung von Leitung zu Führung hat dabei eine wichtige Funktion.
  • Personalinstrumente – Für den Faktor der kollektiven Mitbestimmung sind Personalräte ein wichtiger Handlungsrahmen.
  • Organisationsentwicklung
  • Organisationskultur
  • Organisationsziele
  • Mitbestimmung – Beteiligung an der Gestaltung meiner Arbeit. Werde ich als Experte angehört und wahrgenommen?
  • Individuelle Bedürfnisse – zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Letztendlich: Wo wollen wir hin, mit welchen Mitarbeitern und wie?

These 7

  • Der Wandel der Arbeit ersetzt Menschen nicht, sondern lässt die Kompetenzen von Menschen immer entscheidender werden.
  • Die Kompetenzen von Menschen bestimmen den Wandel der Arbeit und nicht umgekehrt.
  • Der Wandel der Arbeit kann nur kompetent gestaltet werden, wenn dessen gesellschaftliche Voraussetzungen und Konsequenzen wertebezogen diskutiert, respektiert (???) und legitimiert werden.

Unterschätzen Sie nicht, dass das Kompetenzniveau ganz entscheidenden Einfluss auf die Ergebnisse hat.

[Anmerkung – BEGINN]: Aus der Praxis der ProfilPASS-Beratung zu Kompetenz-, vielmehr Niveaustufen:

A: Ich kann es ohne Hilfe einer anderen Person oder einer schriftlichen Anleitung, das heißt selbstständig tun

B: Ich kann es selbstständig auch in einem anderen Zusammenhang tun

C: Ich kann es selbstständig auch in einem anderen Zusammenhang tun und kann es anderen Menschen vormachen oder erklären

[Anmerkung ENDE]

Zur Beteiligung von Mitarbeitern: Wollen wir eine Wirtschaft nach dem Motto “The Winner takes it all?”

Derzeit erleben wir eine Konzentration zu Monopolisierungstendenzen. Ist das gut für die Menschen?

Tarifliche Einstufungen haben mit der Realität nichts mehr zutun. Das macht die Organsiation dumm. Von Kriterien, die der öffentliche Dienst hat, muss man sich verabschieden. Sie sind nicht nur tätigkeitsabhänging, sondern auch abschlussabhängig.

Anschlussfragen an Widuckel:

Frage 1: Wie ist ein individueller Wandel der Arbeit und des Lernens möglich unter der Prämisse von Arbeitsplatzbeschreibungen?

[Die Antwort kann man sich denken …]

Frage 2: Wie haben Sie das Lernen organisiert?

Antwort(stichworte) Widuckel: Was ist der Anlass für Fortbildung? Curricular aufgebaute Fortbildungen. Führungskräfteausbildung. Bestimmte Seminare sind mit bestimmten Inhalten verbunden (z. B. Werksfeuerwehr). Was wollen die Leute? Trends sind Non-formelles Lernen, kollegiale Beratung, bekanntes Expertenetzwerk. Man muss genau wissen, was die Leute können und wollen. Kollegen unterrichten Kollegen. Möglichkeiten, einen Expertenstatus zu erreichen. Vom Chef anerkannt werden. Zeit fürs Lernen erhalten und Anerkennung. Regeln und Normen für die Umsetzung des Gelernten. Die Organisation muss zum Ausdruck bringen, dass sie es will, und die Zeit dafür zur Verfügung stellen. Berichterstattung von denjenigen, die auf einer Fortbildung waren. [So, hiermit geschehen!]

Frage 3: Spielen E-Learning-Formate eine Rolle?

Antwort Widuckel: Ja, und zwar Blended Learning. Die wenigsten Themen eignen sich für E-Learning. Hier muss auch das Lebensalter berücksichtigt werden. Ältere Mitarbeiter möchten lieber anwendungsbezogen lernen und brauchen mehr Freiheiten, auf welchem Weg, mit welchen Lernmethoden gelernt wird. Lerngewohnheiten sind nicht zu unterschätzen.

Frage 4: Wann und Wie der Digitalisierung

Der Faktor Zeit – Bibliotheken sind zumeist keine neugegründeten Organsiationen. Wir tragen Folgekosten des Analogen, also der Druckbestände und weisen eine hohe Komplexität von analogen Geschäftsgängen aus. Diese schleppen wir mit und sind nicht in der Lage, uns von diesen Aufgaben zu trennen. Manchmal denken wir, wir können den Sprung in die Digitalisierung wagen, dann aber schrecken wir doch wieder zurück oder die Zeit scheint noch nicht reif zu sein, oder man geht Verbindlichkeiten ein, die das dann wieder verhindern. Die Kunst ist es ja, wie groß sind diese Schritte zu gestalten. Was tun?

Antwort Widuckel: Den analogen Bestand nur schrittweise abbauen. Nicht alles Analoge in das Digitale mitnehmen. Digitiale Transformation geht nur Schritt für Schritt. So ein System lässt sich nicht von heute auf morgen umstellen, das ist ein viel zu großes Risiko. Bibliotheksübergreifend muss es ja auch noch funktionieren, zum Beispiel die Fernleihe. Da ist Koordinierungsleistung gefragt, das muss in sinnvollen Etappen stattfinden und modular aufgebaut werden.

Nachfrage Widuckel: Welche Gründe gab es fürs Zurückschrecken?

Anwort der Fragenden: Zum Beispiel soziale Gründe, oder es war technologisch gesehen noch nicht perfekt.

Widuckel: WIE perfekt muss es denn sein? Es muss vielleicht auch nicht gleich ganz perfekt sein, da würde eine Absicherungstechnologie helfen.

Fragende: In Bibliotheken fehlt auch der Druck. Es bestehen Unsicherheiten, das Befürchten von  Statusverlusten, die Scheu, sich auseinanderzusetzen …

Widuckel: Könnte es nicht auch daran liegen, dass die gemeinsame Zielformulierung nicht klar ist? Die Einstellung ist ganz wichtig. Wie sollen unsere Bibliotheken in 20 Jahren aussehen? Wenn du nicht bereit bist, diese Frage zu stellen, dann beantworten andere diese Frage für dich.

Die positive Variante wäre: Man müsste sich diese Frage wert sein. Wie wollen wir da stehen?

Ich erlebe dies im eigenen Umfeld: Universitäten werden zwar als wichtig angesehen, werden aber eher am Rande bewertet. Stattdesssen müssten sie Teil der Forschung sein, nicht Teil der Verwaltung.

Ja – das nenne ich mal ein Schlusswort, Herr Prof. Widuckel – mir hat’s Spaß gemacht, Ihnen zuzuhören! Und sollte mein Mitschrieb eklatante Missinterpretationen enthalten, so korrigieren Sie mich bitte gerne!

Veranstaltungsort FH Ingolstadt¹Prof. Dr. Werner Widuckel, ehemaliges Mitglied des Vorstands der Audi AG für Personal- und Sozialwesen und Inhaber der Audi-Lehrprofessur für Personalmanagement an der FAU Erlangen-Nürnberg

²Mitschrieb zur Fortbildung Lebenslanges Lernen im Beruf: Individuell, virtuell, informell? vom 20.09.2017 in Ingolstadt. Veranstalterinnen: Kommission für Aus- und Fortbildung des Bibliotheksverbunds Bayern (KAF) in Kooperation mit der Bibliotheksakademie Bayern.

³ https://www.bibb.de/dokumente/pdf/foko6_neues-aus-euopa_04_raum-lll.pdf

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