Nur an wenigen Stellen im Jahresberichts des Gerichtshofs der Europäischen Union ist deren Bibliothek erwähnt und teilt somit das Schicksal auch deutscher Bibliotheken innerhalb großer Systeme – in der Außendarstellung eher unsichtbar, doch wie die Luft zum Atmen lebensnotwendig für die gesamte Institution.
Nun, an der Ausleihstatistik externer Benutzer ist das zwar nicht gerade abzulesen. Denn lediglich 449 Studierende, Forscher und Professoren von außerhalb hatten im vergangenen Jahr in der Bibliothek des Unionsorgans (Jahresbericht S. 46) recherchiert, und zwar in 240.000 Bänden bei 140.000 Titeln, 2.000 Zeitschriften und elektronischen Publikationen, so erläutert uns Bibliotheksleiter Jos Kuerten.
Dabei darf kein Werk den Lesesaal verlassen. Schmuggeln ist kaum möglich, denn im Sicherheitsbereich wird alles mit Argusaugen bewacht. Den Besuchern wird aus den Beständen, die sich über 10 Kilometer erstrecken und knapp zur Hälfte nicht unmittelbar zugänglich sind, das Gewünschte an langen Tischen gebracht. “Platz zum Arbeiten ist immer genügend da”, meint der gebürtige Niederländer, der seit Beendigung seines juristischen und bibliothekarischen Studiums an dieser einen, für ihn sozusagen passend geschnitzten Stelle – wenngleich sie sich doch völlig anders ausnahm, als er es erlernt hatte – seiner nicht mehr allzu fernen Pensionierung entgegensieht.
Ob er daran gedacht hätte, ein Buch zu schreiben, denn schließlich sei er den größten Teil innerhalb der EU-Werdung mitgegangen, so meine Frage. Tatsächlich zog er es bereits in Betracht, wozu ich nur ermuntern kann. Wenn er so schreibt, wie er frei reden kann – die Powerpoint-Präsentation hat der Profi lediglich am Ende eben mal rasch durchlaufen lassen – dann liest sich das Ergebnis sicherlich spannend.
Waren es zwar nur wenige auswärtige Besucher, sind die Hauptnutzer natürlich die am Europäischen Gerichtshof arbeitenden Menschen, also über 2.000 Personen. Nicht alle kommen zum Arbeiten in den Lesesaal, manche erhalten Medien auch in Dauerleihe. Sie benötigen Literatur und Auskunft zu folgenden Themen, die im Katalog einsehbar sind, allerdings nur mit einer französischen Maske und auf französisch erschlossen:
– Unionsrecht
– internationales Recht
– Rechtsvergleichung
– einzelstaatliches Recht
– allgemeine Rechtslehre
– Wirtschaftswissenschaften
– politische Wissenschaften
– Sozial- und Verwaltungswissenschaften
– Bibliothekswesen
31 Mitarbeiter, 8 Verwaltungsräte und 23 Assistenten und Sekretäre samt aller -innen, die aus 16 EU-Mitgliedsstatten stammen, arbeiten einen Etat von rund eineinhalb Millionen ab, wobei lediglich 880.00 Euro für die Erwerbung von Medien bestimmt ist. Beindruckt war die Reisegruppe von der monatlich erscheinenden Bibliographie, die eine systematische Aufstellung der im Berichtszeitraum eingegangenen Neuerwerbungen und erfassten Aufsätze enthält.
Interessant war auch die noch unentschiedene Frage, was mit den britischen Beständen nach dem Brexit geschehen soll. Aussondern? Archivieren? Käufe einstellen? Nicht nur für die Bibliothek sind dazu viele Fragen offen und einschneidende Konsequenzen zu erwarten, so auch beim Personal. Es war bislang ohnehin schon schwer, Fachkräfte aus Großbritannien zu rekrutieren. Doch das Vereinigte Königreich ist ja schließlich nicht völlig von der Landkarte verschwunden, und wer weiß …?!
Beim anschließenden Rundgang durch die langgestreckten Räume mit ihren Kunstwerken – die man im Übrigen akzentuiert an vielen weiteren Stellen des EU-Geländes antraf, dreisprachig ausgezeichnet, versteht sich, aber auch mit Postkarten versehen, die kostenlos versandt werden konnten – trafen wir dann auch auf die Mitarbeiter/innen, die teilweise in einer Art Carrels arbeiteten. Kleine Kabuffs, nach oben offen und einsehbar, wirkten sie etwas abschreckend. Doch man war allgemein sehr freundlich und zugewandt, also kann es nicht so frustrierend sein, hier zu arbeiten.
Tja, und wieder einmal traf ich spontan auf Robert Schumann. Sein Geist schwebt über allem hier, auch, wenn erstaunlich wenig Literatur zu ihm aufzufinden war. Möglicherweise lag es aber auch daran, dass die Erschließung grundsätzlich ohne Schlagwortvergabe vorgenommen wird. Dies in drei Sprachen vorzunehmen wäre ja auch wirklich sehr aufwändig. Ja, man macht sich so gar nicht wirklich eine Vorstellung von der Komplexität, mit der unsere Europäische Gemeinschaft aufrecht erhalten wird. Ein Stück weit haben wir nun Einblick und sind beeindruckt und auch nachdenklich.
Das jedenfalls war den Gesprächen am Abend zu entnehmen, als wir uns mit Jean-Marie Reding, dem nunmehr 2. Vorsitzenden der ALBAD (Associatioun vun de Lëtzebuerger Bibliothekären, Archivisten an Dokumentalisten) im “Um-Dierfgen” trafen. Mit ihm werden wir die Stadt Luxemburg noch näher kennen lernen. Dazu später mehr!
Fotogalerie Bibliothek des Europäischen Gerichtshofs Luxemburg, Studienreise
Alle Berichtsteile zur Studienreise nach Luxemburg
1. Studienreise Luxemburg (1): Cité Bibliothèque
2. Studienreise Luxemburg (2): Curia Europa
3. Studienreise Luxemburg (3): Bibliothek des Gerichtshofs der EU (Dieser Bericht hier)
4. Studienreise Luxemburg (4): Nationalbibliothek
5.1. Studienreise Luxemburg (5.1): Stadtführung, Teil 1
5.2. Studienreise Luxemburg (5.2): Stadtführung, Teil 2
6. Studienreise Luxemburg (6): Mullerthal
toller bericht über eine tolle Reise, danke!!!!!
ich bin schon ganz gespannt auf die fortsetzung