Chancen2020 in Hamburg (1): Kaltenbrunner zu öffentlichem Raum und Bibliothek

Wegweisung zur Bibliothekskonferenz Chancen2020Die Fortbildung #Chancen2020 – Zukunft sichern” war hinsichtlich der Organisation eine perfekt gelungene Kooperationsveranstaltung¹. Inhaltlich wurde (nicht nur) meine Erwartungshaltung gegenüber den vier Referenten auf der Grundlage ihrer Abstracts zwar nicht immer erfüllt.Doch Impulse und Nach- und überdenkenswertes gab es reichlich genug, um sagen zu können: “Gerne wieder!”  (Fotos auf Flickr).

Vortrag 1: Dr. Robert Kaltenbrunner

Vortrag Dr. Robert Kaltenbrunnter, Chancen2020Der Architekt (Dipl. Ing.) und Stadtplaner bemühte sich in seinem Beitrag “Die Stadt der Zukunft und die unbemerkten Verbindungslinien zwischen Bibliothek und öffentlichem Raum” um die Darstellung von Parallelen. Das Ausleuchten der von ihm angekündigten “engen Wechselwirkung von öffentlichem Raum und öffentlicher Bibliothek” changierte zwischen aufblitzenden Spotlights und eher bemühten bis ausbleibenden Gegenüberstellungen. Ausleuchten stelle ich mir anders vor. Manches geriet zu diastratisch-abstrakt und damit auf einer berufsfachlichen Ebene, für die ein tieferes theoretisches Verständnis erforderlich gewesen wäre. Dennoch vermochten einige der Ausführungen und Statements zu seinen sechs Thesen zweifelsohne zu inspirieren und den Blickwinkel zu ändern. Nachfolgend der Einleitung stelle ich seine Thesen vor und greife via meiner Notizen punktuell hinein.

Die souveräne Moderation hatte Sylvia Gladrow (BIB) inne.

Einleitung

  • Gestaltung öffentlichen Raumes … Unbekanntes an Bekanntes anbinden
  • Stadtentwicklung als Städtebalg der Politik
    • Einfache Antworten versus komplizierte Antworten [Dazu fiel mir der geniale Artikel von Martenstein 2016 in der ZEIT ein … 42 versus Pi]
    • Die Wahl der Sichtweise bestimmt die Lösungsweise
  • Keine falschen (idealistischen) Bilder von Urbanität hochhängen
  • Quartier als intermediare Kategorie (zwischen Wohnung und Stadt) begreifen und stärken
    • Soziale Durchmischung als Anspruch und nach außen propagiert, doch einer Homogenität der Bevölkerung wird der Vorzug gegeben. Eine Untersuchung stellte fest: Wir stehen dem eigenen Lebensstil nahe [“Gleich und gleich gesellt sich gern”].
    • Die gesellschaftliche Wirklichkeit bleibt zu komplex, um sie zu planen
  • Urbane Umgebungspolitik beachten
    • wichtig sind kurze Wege
    • ein besonderes Augenmerk auf den Öffentlichen Nahverkehr richten
    • Aufenthaltsqualität
  • Zwischenfazit: Stadtentwicklung und Urbanistik sind komplexe Gegenstände. Und: “Bibliothek und öffentlicher Raum: Same, same – but different”.

These 1: Die mediatisierte Öffentlichkeit wird die räumlich erfahrbare nicht ersetzen – und sie wird auch nicht als Ersatz empfunden.

Notizen:

  • Öffentliche Räume, …
    • … um Konflikte auszutragen (Streiks, Kundgebungen etc)
    • … um das Bedürfnis nach “sehen und gesehen werden” zu befriedigen (Zur-Schau-Stellung)
    • … für eine öffentliche Teilhabe am Leben statt private Einsamkeit
  • Mittelbare Querverbindung zu den Bibliotheken ist das Gemeinschaftserlebnis

These 2: Der öffentliche Raum wird zunehmend uneinheitlich und hybrid

Notizen:

  • Der öffentliche Raum ist der Spiegel der Gesellschaft
  • Raum wird miteinander geteilt
  • Die Bibliothek ist ein vielfältiger Lernort, der freiwillig aufgesucht wird
  • Bibliotheken leisten wie auch öffentliche Räume einen Verankerungsbeitrag
  • Bibliotheken bieten mit ihrem kommunikativen Milieu eine Möglichkeit, allein sein zu können, doch unter Menschen

These 3: Der öffentliche Raum hat keine zeitlose Bedeutung – aber eine grundlegende

Notizen:

  • Ordnung des Raums – Ordnung des Wissens [eine Parallele?!]
  • In Deutschland seit 2006 zur Fußballweltmeisterschaft wird der öffentliche Raum zum Public Viewing genutzt. Auch in Bibliotheken lässt sich Gesellschaftsübergreifendes gemeinsam erleben.

These 4: Der öffentliche Raum ist nicht nur durch Privatisierung bedroht, sondern auch durch ästhetische Überinstrumentierung

Notizen:

  • Öffentliche Plätze sind nicht mehr gemeinhin einfach so nutzbar, siehe Beispiel Deutsche Bahn, die als Eigentümer über die Nutzung und Gestaltung von Bahnhofsvorplätzen entscheidet.
  • Unattraktivität der Stadtplätze, da in Konkurrenz zu Privaträumen wie z. B. dem Sony-Center
  • Ja, es gibt in Sachen ästhetische Überinstrumentierung auch Analogien in der Welt der Bibliotheken [Mir fiel sofort Stuttgart ein.]

These 5: Die Dialektik von öffentlichem und privatem Raum geht über in eine Dialektik wechselhaft besetzter Orte

  • Verwandlung von Orten in Nicht-Orte
  • Orte ohne Eigenschaften (Peripherie, Haltepunkte, Randzonen)
  • Nicht-Orte werden verwandelt durch Inbesitznahme (z. B. durch die Techno-Szene)

These 6: Eine monokausale Verbindung zwischen Öffentlichkeit und Gestaltung gibt es nicht

  • Eine Parallele [zum öffentlichen Raum]: die emotionale und symbolische Seite der Bibliotheken
  • Eine Synthese beider Sphären: Die Bürgerbibliothek “Salbker Lesezeichen” [leider wenig nachhaltig, wie der aus dem Publikum angesprochene Vandalismus klar stellt. Mittlerweile werden keine Bücher mehr aufgestellt.]
  • Es verschwinden Bibliotheken als Sehnsuchtsorte
  • Bibliotheken sind echte Versprechen
  • Bibliotheken wie Oodi (Helsinki) machen ihre Besucher glücklich

Fazit: Der öffentliche Raum und öffentliche Bibliotheken werden auch künftig in enger Wechselwirkung mit uns stehen.

Mein Fazit: Dem von Kaltenbrunner gezogene Fazit: “Der öffentliche Raum und öffentliche Bibliotheken werden auch künftig in enger Wechselwirkung mit uns stehen” kann man nur wünschen, dass es sich (weiterhin) bewahrheitet. Die Querverbindung zwischen öffentlichem Raum und öffentlicher Bibliothek scheint mir in diesem Vortrag punktuell weniger überzeugend gelungen bzw. belegt worden zu sein. Gleichwohl, es waren viele inspirierende Bilder und Gedankengänge, die im wahrsten Sinne des Wortes neue Standorte und somit Perspektiven aufzeigten. Ich wünschte mir schon lange, Bibliotheken würden aus ihren “3. Orten” heraus an den sie umgebenden Räume stärker mitwirken und sie mitgestalten. Bibliotheken sollten nicht am Windfang enden, sondern sichtbare Spuren in der Kommune hinterlassen. Doch bei vielen Städten und Kommunen reicht es ja noch nicht einmal zu einem Wegweiser, geschweige denn zu Ressourcen, um diese gestaltende Arbeit an, in und mit der gemeinsamen Öffentlichkeit zu leisten. Insofern lässt Kaltenbrunner unsereins nachdenklich und mit Fragezeichen versehen zurück, doch mit der Ahnung: “Wir sollten und könnten Räume füllen, und zwar gemeinsam und vor unserer Türe!”


¹Gemeinsame Bibliothekskonferenz des Berufsverbands Information Bibliothek e.V. (BIB), des Deutschen Bibliotheksverbands e.V. (dbv) und der ekz.bibliotheksservice GmbH